#755 «Gute Strafverteidigung ist nicht das grosse Finale, sondern die tägliche Arbeit»
Kurz vor dem Jahreswechsel sitzen Duri Bonin und Nina Langner zusammen und tun etwas, das im Kanzleialltag viel zu selten geschieht: innehalten. Wie fühlt sich 2025 an, wenn man es wirklich betrachtet? Welche Bilder bleiben, welche Momente tragen und welche Reibungen kosten Kraft? Es ist ein Gespräch über Berufsstolz ohne Pathos, über Erleichterung nach einem Freispruch, über das zermürbende Thema der Honorarnotenkürzungen und über ein gesellschaftliches Klima, das immer stärker nach «maximaler Sicherheit» schreit. Und dann der Blick nach vorn: weniger Flipperkasten im Kopf, mehr Luft im Tag, ein Kanzleialltag, der nicht wieder im Tunnel endet.
Ein Moment, der hängen bleibt: Nina beschreibt ihren grössten Moment des Jahres 2025 nicht als «Triumph», sondern als körperliche Entlastung: jenen Augenblick, in dem ein Stein herunterfällt, wenn ein Mensch nach Jahren unter einem schweren Vorwurf endlich wieder atmen kann. Duri macht deutlich, warum das mehr ist als ein beruflicher Erfolg: weil sichtbar wird, wie sehr ein Verfahren ein Leben formt – lange bevor ein Urteil gesprochen wird.
Zentrale Themen und Fragen der Episode
- Was bedeutet ein Freispruch emotional, wenn man die Jahre davor mitträgt?
- Warum treffen Honorarnotenkürzungen doppelt – finanziell und als Misstrauenssignal?
- Weshalb ist das Rechtsmittel gegen Honorarpauschalen oft irrational, obwohl es um Fairness geht?
- Wie organisiert man Strafverteidigung so, dass Unvorhergesehenes Platz hat und nicht alles andere verdrängt?
- Was macht eine zunehmende Sicherheitskultur mit Institutionen – und warum kippt sie schnell in Misstrauen gegenüber der Verteidigung?
- Wo liegt die Grenze zwischen «nah bei den Klienten sein» und «sich selbst verlieren»?
Zitate, die bleiben:
- «Eine gute Strafverteidigung ist nicht das grosse Finale – es ist die tägliche Arbeit, die den Unterschied macht.»
- «Früher hatte ich das Primat: Ich ziehe jede Honorarkürzung weiter, egal wie gross der Aufwand ist. Nach einem Herzinfarkt sind das dann irgendwie wie die Kämpfe, die man nicht mehr führen mag.»
- «Es macht einen Unterschied, ob wir im Fall drin sind oder nicht – nicht nur wegen des Resultats, sondern weil sich jemand gehört fühlt und weniger Angst hat.»
Diese Folge richtet sich an Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger, die ihren Beruf nicht nur als Technik, sondern als Verantwortung erleben. An Anwältinnen und Anwälte, die den Druck von langen Verfahren, knappen Ressourcen und strukturellem Misstrauen kennen und sich fragen, wie man diesen Beruf über Jahre hinweg ausüben kann, ohne sich selbst zu verlieren. Sie ist ebenso für Menschen gedacht, die im Justizsystem arbeiten oder ihm nahestehen und verstehen wollen, was Verteidigung im Alltag tatsächlich bedeutet – jenseits von Urteilen, Schlagzeilen und abstrakten Prinzipien. Und schliesslich für alle, die sich für Rechtsstaatlichkeit interessieren und dafür, wie viel es ausmacht, ob jemand im Verfahren begleitet wird oder nicht: nicht nur für das Resultat, sondern für das Gefühl, gehört zu werden und weniger Angst zu haben.
Links zu diesem Podcast:
- Das Buch zum Podcast: [In schwierigem Gelände — Gespräche über Strafverfolgung, Strafverteidigung & Urteilsfindung](https://www.duribonin.ch/produkt/in-schwierigem-gelaende/)
- Anwaltskanzlei von [Duri Bonin](https://www.duribonin.ch)
Die Podcasts "Auf dem Weg als Anwält:in" sind unter https://www.duribonin.ch/podcast/ oder auf allen üblichen Plattformen zu hören 🎧. Dort einfach nach 'Duri Bonin' suchen und abonnieren.