#736 Richterliche Strafzumessung – zwischen Bauchgefühl, Vergleichsfällen und künstlicher Intelligenz
Wie entsteht eine „gerechte“ Strafe – und kann künstliche Intelligenz dabei helfen?
Im Live-Podcast von Auf dem Weg als Anwält:in diskutieren Corina Semadeni (Bezirksrichterin Zürich), Jonas Ackermann (Kriminalrichter Luzern) und Gregor Münch (Moderator, Strafverteidiger) über die Grundlagen und Herausforderungen richterlicher Strafzumessung: Zwischen Erfahrung, Systematik, Bauchgefühl – und der Frage, ob Algorithmen Richter:innen künftig unterstützen oder ersetzen könnten.
Die zentralen Themen dieser Folge:
- Richterliche Praxis der Strafzumessung: Wie Urteilsberatungen in Kollegialgerichten ablaufen, welche Rolle Referent:innen und Co-Referent:innen spielen und wie Differenzen im Gremium gelöst werden.
- Zahlen, Ranges und Urteilsfindung: Warum Richter:innen meist mit einer Zahl oder Bandbreite („Range“) in die Beratung gehen – und wie sich diese während der Verhandlung verändert.
- Ankereffekt & Strafanträge: Inwiefern beeinflussen Anträge der Staatsanwaltschaft die richterliche Wahrnehmung? Und wie gehen Gerichte mit diesem psychologischen Effekt um?
- Vergleichsfälle & Gleichbehandlung: Wie stark prägen frühere Urteile die aktuelle Strafzumessung? Und wie gelingt der Spagat zwischen Individualisierung und Rechtsgleichheit?
- Studie zur Rechtsungleichheit: Diskussion der Dissertation von Luca Ranzoni („Der Zufall regiert die Schweizer Justiz?“) und der Frage, wie stark Strafen tatsächlich voneinander abweichen.
- KI in der Strafzumessung: Jonas Ackermann berichtet über seinen selbst entwickelten Prototyp zur KI-gestützten Strafzumessung – Chancen, Grenzen und ethische Fragen.
- Akzeptanz richterlicher Urteile: Wie entsteht Vertrauen in ein Urteil? Wann wird eine Strafe als „gerecht“ empfunden – und was passiert, wenn Maschinen mitentscheiden?
- Richterliches Selbstverständnis: Zwischen Verantwortung, Emotion, Erfahrung und Transparenz – was den Beruf des Strafrichters ausmacht.
- Blick nach China: Der Vergleich zu KI-basierten Strafzumessungssystemen im Ausland – und was das für die Schweiz bedeutet.
- KI versus Bauchgefühl: Warum das „Bauchgefühl“ kein Zufall, sondern Ergebnis jahrelanger Erfahrung ist – und wie Datenbanken und Tools diese Erfahrung ergänzen (oder verzerren) können.
Wer sich für Strafrecht, Justizpraxis, richterliche Entscheidungsfindung und den Einsatz von KI im Gerichtssaal interessiert, bekommt hier einen einzigartigen Einblick in die Denkprozesse von Richter:innen. Diese Folge verbindet juristische Präzision mit praktischer Erfahrung und ethischer Reflexion. Sie zeigt: Strafzumessung ist keine Mathematik, sondern ein Balanceakt zwischen Menschlichkeit, Systematik und Verantwortung.
Links zu diesem Podcast:
- Digitalisierung des Straf- und Strafprozessrechts
- KI-Strafzumessung: Strafzumessung mit Hilfe künstlicher Intelligenz?
- Strafzumessung mit Hilfe künstlicher Intelligenz?, Richterzeitung Justice - Justiz - Giustizia 2024/3
- Gerechte Strafen ohne Gleichheit? Eine rechtliche und empirische Analyse der Schweizer Strafzumessungspraxis von Luca Ranzoni, sui generis, Zürich 2025
- Der Zufall regiert in der Schweizer Justiz: Ein Richter gibt ein Jahr bedingt, der andere fünfzehn Jahre Gefängnis – für dasselbe Tötungsdelikt, NZZ vom 26.05.2025
- Anwaltskanzlei von Gregor Münch
- Anwaltskanzlei von Duri Bonin
- Das Buch zum Podcast: In schwierigem Gelände — Gespräche über Strafverfolgung, Strafverteidigung & Urteilsfindung
Die Podcasts "Auf dem Weg als Anwält:in" sind unter https://www.duribonin.ch/podcast/ oder auf allen üblichen Plattformen zu hören 🎧. Dort einfach nach 'Duri Bonin' suchen und abonnieren.
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