#682 Unglaubwürdig in allen Punkten: Ist unser Mandant der Täter?
Nina und Duri studieren die Akten ihres neuen Falles. Ihr Mandant wurde am Vormittag auf die Polizeiwache bestellt, dort vorläufig festgenommen und am Nachmittag als Auskunftsperson befragt. Am Abend folgte die Einvernahme durch die Staatsanwaltschaft. Zwei Einvernahmen an einem Tag - wie kam es dazu? Sie nehmen die Protokolle unter die Lupe: Warum wurde der Mandant zuerst als Auskunftsperson vernommen? Welche Rolle spielte diese erste Vernehmung? Wie sind seine Aussagen bei der Staatsanwaltschaft zu würdigen? Liest man nur das Protokoll, ist der Mandant der Täter. Zumindest sieht es so aus: Er lügt - über das Motiv, über das Blut an seinen Händen, über seine Anwesenheit am Tatort - und er ist laut Staatsanwalt nicht erschüttert über den Tod seines Bruders. Aber was sagt ein Protokoll wirklich über die Wahrheit aus? Auch versetzen sie sich in die Lage ihres Mandanten: Der eigene Bruder wurde ermordet - und plötzlich steht man selbst unter Verdacht. Wie erlebt man ein Verhör in einem solchen Ausnahmezustand? Welchen Einfluss hat die Protokollierungstechnik auf die spätere Beweiswürdigung? Und welche Rolle spielt der Dolmetscher?
Und dann stellt sich die Frage: Hätten sie als Verteidigung bei der Hafteinvernahme Ergänzungsfragen gestellt? Was ist deine Meinung? Ja, Ergänzungsfragen wären wichtig gewesen. Die Protokolle weisen Widersprüche und Unklarheiten auf, die durch gezielte Nachfragen hätten aufgeklärt werden können. Insbesondere bei den Punkten Motiv, Blutspuren und Anwesenheit am Tatort wäre es wichtig gewesen, nachzufragen, um Fehlinterpretationen oder missverständliche Formulierungen zu vermeiden. Eine präzise Fragestellung hätte die Möglichkeit eröffnet, den Kontext der Aussagen besser einzuordnen und den Mandanten vor einer einseitigen Protokollierung zu schützen. Oder: Nein, es war taktisch klüger, keine Ergänzungsfragen zu stellen. Jede Frage birgt das Risiko, dass sich der Klient weiter in Widersprüche verstrickt oder neue belastende Aussagen macht. Zudem wurde die Vernehmung von der Staatsanwaltschaft gesteuert - ohne vorherige Akteneinsicht hätte jede Intervention mehr Schaden als Nutzen bringen können. In einem solchen Fall ist es oft besser, später eine eigene Version der Ereignisse zu präsentieren, als sich auf ein ungünstiges Protokoll einzulassen.
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